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Marxismus in den Internationalen Beziehungen
Das Kapitel liefert eine chronologisch geordnete Einführung und kritische Übersicht marxistisch-inspirierter theoretischer Paradigmen zum Phänomen der internationalen Beziehungen. Ausgangspunkt ist der Nachweis der relativen Absenz der Problematik internationaler Beziehungen bei Marx und Engels, die erst im Kontext der Imperialismus-Debatten der Zwischenkriegszeit zu einem zentralen Explanandum diverser marxistischer Denkströmungen wurden. Innerhalb der nach wie vor anglo-amerikanisch dominierten Teildisziplin der IB wurden im Laufe der 1970er-Jahre unter dem Einfluss der Weltsystemtheorie, gefolgt von neo-gramscianischen Theorien internationaler Beziehungen in den 1980er-Jahren, marxistische Ansätze dem klassischen Kanon realistischer und liberaler Theorietraditionen angefügt. Heute, nach dem Ende von Denkverboten auferlegt durch wissenschaftspolitische Implikationen des Kalten Krieges und rigider Parteidogmen und im Zuge der neuen Krisen des Kapitalismus, stellen marxistische IB-Theorien – auch im Kontext der post-positivistischen Wende innerhalb der IB – einen dynamischen, pluralistischen, und zunehmend ausdifferenzierten Teilbereich der Disziplin dar, der sich nicht nur der Verdinglichung von Macht und Geopolitik im klassischen (Neo-)Realismus, sondern auch den Verheissungen liberaler IB-Theorien kritisch und reflexiv widersetzt. Zentral bleibt dem gegenwärtigen kritischen Diskurs – Weltsystemtheorie, Neo-Gramscianismus, Politischer Marxismus, Ungleiche und Kombinierte Entwicklung, Theorien des Neo-Imperialismus – nicht nur der, wenn auch sehr verschieden akzentuierte, Rekurs auf die klassische Kapitalismuskritik bei Marx, sondern auch die Kategorienkritik des begrifflichen Vokabulars des IB mainstreams. Dem entspricht ein Forschungsprogramm, welches die Historisierung von „Anarchie“, Staatlichkeit, politischer Rationalität und diverser geopolitischer Ordnungen als gesellschaftlich-politischer Konstruktionen unter Hinzunahme der Kategorie umkämpfter sozialer Klassen- und Herrschaftsverhältnisse betreibt, denen stets eine internationale Dimension beiwohnt. Allerdings bleibt auch die gegenwärtige marxistische Debatte durch einen tendenziell objektivierenden Strukturalismus gekennzeichnet, den es durch eine theoretische und empirische Spezifizierung sozialer, politischer und geopolitischer Praxen zu überwinden gilt. Dieses Forschungsdesiderat sollte nicht nur im Hinblick auf theorie-interne Defizite nicht-marxistischer rivalisierender Theorieangebote verstanden werden, sondern auch im Hinblick auf das originäre Verständnis von Marxismus als intervenierender, kritischer und praktischer Wissenschaft gesellschaftlicher Verhältnisse.
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Publication status
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File Version
- Accepted version
Publisher
VS Verlag für SozialwissenschaftenExternal DOI
Page range
1-35Pages
600.0Book title
Handbuch Internationale BeziehungenPlace of publication
WiesbadenISBN
9783531199542Series
Springer Reference SozialwissenschaftenEdition
3rdDepartment affiliated with
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Full text available
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Peer reviewed?
- Yes